Die Jagd

Das Jagen war zu jeder Zeit eine Männerbeschäftigung, bei welcher der Frau nur die Aufgabe zufiel, das erlegte Tier auszuweiden beziehungsweise die Jagdbeute als Speise zuzubereiten.

Abb. 99. Wurfstock.

Abb. 99. Wurfstock.
Kiskunság, Anfang 20. Jahrhundert

Die ungarische Jagd kann bruchstückhaft sogar bis auf die Zeit vor der Landnahme der Magyaren im Karpatenbecken zurückverfolgt werden. So schoß man zum Beispiel mit V-förmigen Pfeilspitzen auf Wasservögel, weil die derart geformten Pfeilspitzen im Röhricht hängenblieben und wieder verwendet werden konnten. Ungarische Archäologen haben zahlreiche V-förmige Pfeilspitzen in Gräbern aus der Zeit der Landnahme gefunden, und auch die verwandten ugrischen Völker benutzten sie bis in die jüngste Zeit. Entsprechend können einige Formen von Schlingen und Fallen bis in die Zeit vor der Landnahme zurückverfolgt werden. Die Bedeutung der Jagd hat auch Anonymus (t2. Jahrhundert), der Verfasser der ersten ungarischen Gesta, betont: „Als die Ungarn sich im Jahre 884 auf den Weg machten, gingen die Jünglinge fast jeden Tag auf die Jagd, weshalb die Ungarn von diesen Tagen an bis zum heutigen bessere Jäger sind als die übrigen Nationen.“

Abb. 100. Schlagholz.

Abb. 100. Schlagholz.
Umgebung von Debrecen, Anfang 20. Jahrhundert

Das neue Land im Karpatenbecken bot den Magyaren im großen und ganzen dieselben Jagdmöglichkeiten wie die südrussische Tiefebene. Im Laufe der Zeit wurden die Bauern jedoch von der Jagd zunehmend ausgeschlossen, besonders nachdem 1504 König Wladislaw gesetzlich festgelegt hatte, daß nur ein Edelmann das Recht zu jagen habe. Von da an wurden Leibeigene und Bürger gleich streng bestraft, wenn man sie beim Jagen ertappte. So entwickelten sich die Jagdverfahren der Adligen und der Bauern in verschiedenen Richtungen. Erstere gingen bald zur Verwendung von Schußwaffen über, letztere blieben bei den alten, unauffällig ausübbaren Jagdmethoden, die sie höchstens verfeinerten oder durch neue Varianten bereicherten.

Von den zahlreichen Arten, Verfahren und Mitteln der Jagd wollen wir nur einige erwähnen. Die einfachste und in frühester Zeit allgemein verbreitete Form war die Treibjagd (hajtás). Auf diese Weise jagte man noch im vergangenen Jahrhundert Wölfe. Das Wild wurde zu Pferde verfolgt und mit der Peitsche gefangen. In das Peitschenende war ein Draht eingeflochten, so daß das Wild, wenn sich die Peitsche um seinen Hals wickelte, erwürgt wurde. Die Großtrappe (Otis tarda), der größte Vogel des Karpatenbeckens, konnte nach einem schweren Regenguß mit ihren vor Näße triefenden Flügeln nicht auffliegen und wurde dann in Schwärmen mit der Peitsche in den Hof eines Grundstücks getrieben, wo man sie wegen ihres hervorragenden Fleisches erlegte.

Abb. 101. Reißschlinge zum Fangen von Wasservögeln.

Abb. 101. Reißschlinge zum Fangen von Wasservögeln.
Sárköz, Anfang 20. Jahrhundert

{G-258.} Auch verschiedenförmige Stöcke dienten zur Jagd. Damit wurden Hasen oder die am Wasserrand schwer auffliegenden Wildenten erschlagen. Der Wurfstock (hajítófa) wurde aus Hartholz hergestellt, an beiden Enden zugespitzt und wirbelnd auf das gejagte Tier geworfen, um ihm eine möglichst große Wunde zuzufügen. Das Schlagholz (ütõfa), mit dem die Strandläufer (Tringidae) gejagt wurden, bestand aus zwei quer übereinanderliegenden Holzstücken. Wenn sich die Wasservögel auf den Ton der Lockpfeife hin sammelten, warf man das Schlagholz kreisend auf die Vögel.

Unter den Jagdgeräten spielte die Schleuder oder auch Zwille (parittya) eine wichtige Rolle, da sie sich zum Erlegen von Vögeln und Kleinwild gleichermaßen eignete. Sie wurde aus weichem Leder hergestellt; in der Mitte nähte man für den Stein oder die aus Lehm geknetete getrocknete Kugel ein 6 bis 8 cm breites Lederstück an. Das eine Ende des Lederriemens band sich der Jäger ans Handgelenk, das andere hielt er in der Hand. Wenn er die Schleuder mehrmals über seinem Kopf herumschwang und dann den einen Riemen losließ, flog das Geschoß mit voller Wucht heraus. Die Schleuder wurde von den Feldhütern im 18. und 19. Jahrhundert nicht nur gegen Schaden anrichtende Vögel, sondern auch gegen Felddiebe eingesetzt.

Die ungarischen Bauern jagten zumeist mit Schlingen (hurok) verschiedener Form, die sie aus Roßhaar, Sehnen, Schnur oder Seil verfertigten. Für kleinere Vögel genügten Schlingen aus Roßhaar. 20 bis 33 dieser Roßhaarschlingen befestigte man auf einem Brett, das mit irgendwelchen Körnern bestreut wurde. Die Vögel kamen, um das Futter aufzupicken, und dabei verfingen sie sich früher oder später in einer Schlinge. Ähnliche Schlingen wurden an Maiskolben angebracht, die sich dann um den Hals des hungrigen Vogels zogen. Eine andere Form war die Reißschlinge (rántó hurok), die zu Wasser und auf dem Trockenen gleichermaßen benutzt wurde. Man steckte eine starke, biegsame Rute in den Boden, bog sie herab und drückte sie mit einem kleinen Haken nieder. Daran befestigte man das Ende einer Schlinge, die dem Wild in den Weg gelegt wurde. Wenn das Wild an den Haken stieß, wurde die Rute frei und sauste mit der Schlinge hoch, in der sich das Tier verfing.

Der Vogelfang mit Netz war einst weit verbreitet. Ungarische Urkunden erwähnen schon im Mittelalter königliche Netzträger und geben auch die Bezeichnungen einiger typischer Vogelnetze an. In der Hauptsache wurden Wachteln mit dem Netz gefangen. Man legte das Netz auf eine Grasfläche oder auf das wachsende Getreide, lockte den Vogel, seine Stimme nachahmend, und wenn sich der Vogel unter dem Netz befand, erschreckte man ihn, so daß er aufflog und sich im Netz verfing. Man breitete Netze auch über den Eingang des Fuchs- oder Dachsbaus, damit das hinausgetriebene Tier nicht entkommen konnte. Das jagen mit dem Fangnetz ist noch heute üblich, wenn man das Wild lebend einfangen und in ein anderes Gebiet umsiedeln will.

Kleinere Vögel, hauptsächlich Singvögel, wurden mit der Leimrute (lépezés) gefangen. Den Leim kochte man gewöhnlich aus Abfällen. Damit wurden hervorstehende Äste des Gebüsches bestrichen, in deren Nähe man einen Bauer mit Lockvogel aufhängte. Wenn sich der Vogel {G-259.} auf den Ruf des Lockvogels hin auf den Ästen niederließ, blieben seine Beine am Leim kleben.

Abb. 102. Bogen zum Zieselfang, gespannt und während des Fanges.

Abb. 102. Bogen zum Zieselfang, gespannt und während des Fanges.
Große Tiefebene, um 1930

Eines der ältesten Jagdgeräte, das man bis in die Zeit des finnougrischen Zusammenlebens zurückverfolgen kann, war die Bogenfalle (íjascsapda), die heute hauptsächlich für den Zieselfang verwendet wird. Ihr wichtigster Teil ist der Bogen, der durch eine längliche, schmale Schachtel geführt wird. Darin befindet sich eine flache, am Ende mit Nägeln beschlagene, bewegliche Holzplatte, mit der der Bogen aufgezogen wird. Ein kleiner Stift hält ihn in gespanntem Zustand. Diese Falle wird auf das Zieselloch gesetzt. Wenn das kleine, ahnungslose Tierchen die Bogenfalle berührt, löst sich der Stift, das Holzstück schnellt vor und fängt beziehungsweise tötet das Tier. Bei den nordischen Jagdvölkern Europas und Asiens sind die verschiedensten Formen dieser Falle zu finden; einzelne Funde beweisen auch ihre Verbreitung in Westeuropa.

Vielerorts kannte und verwandte man die Quetschfalle (zúzócsapda), bei der ein herunterfallendes Stück Holz oder ein Stein das Wild töteten. Heute verwendet man nur noch kleinere Abarten dieser Falle zum Mäuse- oder Rattenfang. Früher erlegte man mit Hilfe eines Baumstammes auch größere Raubtiere wie Bären, aber auch Hirsche.

Abb. 103. Querschnitt einer Wolfsgrube.

Abb. 103. Querschnitt einer Wolfsgrube.
Große Tiefebene, Ende 19. Jahrhundert

Der Wildfang in Fallgruben (vermes vadfogás) war einst weit verbreitet, hauptsächlich bei der Großwildjagd. Im südlichen Teil Westungarns legte man Gruben für Wildschweine an, wobei ringsherum Zäune aufgestellt wurden, die das Wild unvermeidlich in die Grube führten. Am längsten waren die Wolfsgruben üblich, vor allem in Sumpf- und Moorgegenden. Wenn das Wasser zufror, wagten sich die hungrigen Wölfe bis an den Rand des Dorfes, oft sogar bis in die Höfe. Um das zu verhindern, grub man 2 bis 3 m tiefe Fallgruben und schlug in den Boden der Grube einen oder mehrere spitze Pflöcke ein. Die Grube wurde mit Schilf, Bast oder Unkraut bedeckt, und in die Mitte legte man als Köder ein Stück Fleisch an eine lange Stange oder band eine lebende Gans fest. Die Wölfe wurden von dem leckeren Bissen angelockt, schnappten danach und fielen in die Grube, wo sie entweder vom Pflock aufgespießt oder von den Bauern mit Heugabeln erstochen wurden.

Auch verschiedene Jagdarten mit Hilfe von Tieren waren verbreitet. So ließ man Hasen, Rehe und auch Wildschweine so lange mit Hunden hetzen, bis das Wild zusammenbrach. Die Jagd mit Falken und Adlern, überhaupt der Vogelfang, zählte im Mittelalter zu den Vergnügungen der Magnaten und Adligen, gewisse Formen behielten jedoch die Bauern fast bis in die jüngste Zeit bei. So wurden die Horste der Fisch- und Seeadler auf Bäumen in den Sümpfen überwacht, und wenn das Weibchen den jungen erbeutetes Wassergeflügel und Fische brachte, wurde es ihnen weggenommen. Damit zwangen sie das Weibchen immer mehr Beute heranzuschaffen.

Die bäuerliche Jagd spielte wegen ihrer besonderen, illegalen Form zu jeder Zeit nur eine ergänzende Rolle bei der Beschaffung von Nahrungsmitteln. Jeder jagte eben, wenn sich ihm eine Gelegenheit dazu bot. Natürlich gab es und gibt es auch heute noch Wilderer, die die verschiedenen Fangarten kennen und praktizieren.