Die Mahlzeiten

Die ungarische Bauernschaft speiste den mittelalterlichen Traditionen gemäß im allgemeinen nur zweimal am Tag: am Morgen (Frühstück) und am Nachmittag (Mittag- oder Abendmahl). Diese Sitte besteht zum Teil auch heute noch und hängt in der Winterzeit eng mit dem Feuermachen zusammen; es wurde nämlich am frühen Morgen und am Nachmittag der Ofen geheizt. Dieses Grundsystem war jedoch in der Hauptarbeitszeit Wandlungen unterworfen – da aßen die Menschen dreimal oder sogar fünfmal täglich.

147. Zwei Kochtöpfe aus Ton

147. Zwei Kochtöpfe aus Ton
Ungarn

Wenn im Frühjahr die Feldarbeit begann (Pflügen, Säen), dann wurde bereits dreimal täglich gegessen; die zwei Hauptmahlzeiten blieben bestehen, aber dazwischen aß man aus dem Ranzen Brot, Speck, {G-306.} Zwiebeln oder sonstiges Kaltes; manche brieten sich den Speck auf improvisiertem Feuer. In den Städten mit großer Gemarkung östlich der Theiß (wie zum Beispiel Hajdúböszörmény) kamen die Bauern während des Pflügens mehrere Tage lang nicht nach Hause. In solchen Fällen war es Pflicht des Familienvaters für die Familie ein warmes Essen im Kessel zu kochen. Dreimal täglich aßen auch die im Freien lebenden Hirten. Am frühen Morgen bereitete der Hirtenjunge ein Frühstück aus Fleisch, während die Hirten zu Mittag, wenn die Herde weit weg vom Gehöft weidete, nur Speck und Brot oder Dörrfleisch aßen. Kamen sie abends zum Gehöft zurück, stand ein Fleischgericht für sie bereit.

In der Hauptarbeitszeit im Sommer, besonders während des Schnitts und des Dreschens, wenn die größte Kraftanstrengung benötigt wird, wurde die Zahl der Mahlzeiten vermehrt. Frühmorgens aß man eine Kleinigkeit und trank dazu einen Schnaps, um die Arbeit nicht mit nüchternem Magen zu beginnen. Gegen acht Uhr nahm man das Frühstück ein, das ebenfalls aus kaltem Essen bestand. Mittags wurde eine Pause von einer Stunde eingelegt, und wenn die Schnitter ihr eigenes Korn schnitten, brachten ihnen ihre Frauen das Mittagessen aufs Feld, zu dem das Fleisch selten fehlte. Die Lohnschnitter bekamen entweder vom Arbeitgeber das Mittagessen, oder sie mußten es sich selbst aus den ihnen gebührenden Lebensmitteln bereiten. Um fünf Uhr nachmittags gab es wieder eine kurze Pause mit kaltem Essen. Wenn dann bei Dunkelwerden die Arbeit eingestellt werden mußte, aßen die Schnitter ein warmes Abendessen – die selbständigen Bauern zu Hause, die Lohnschnitter in ihrem Nachtquartier.

Wie man sehen kann, richteten sich die Mahlzeiten nach der jeweiligen Arbeit. Ein großer Unterschied bestand zwischen dem alltäglichen und dem feiertäglichen Essen. Merkwürdigerweise hat das letztere die meisten altertümlichen Züge bewahrt, wo doch sonst Festlichkeiten oft mit neuen Sitten verbunden sind. Am Sonntag gehörte ein Huhn in den Topf, man aß Suppe und gekochtes Fleisch, neuerdings auch noch irgendwelches Gebäck hinterher. Als feiertägliches und verhältnismäßig seltenes Essen galt Rindfleisch, wogegen Schweinefleisch in verschiedener Zubereitung auch an Wochentagen auf den Tisch kam.

An den hohen Feiertagen gab es feststehende Speisefolgen, die allerdings je nach Landschaft und Religion wechselten. So aßen die Katholiken am Heiligabend Fastenspeisen – Kraut- oder Bohnensuppe, Fischgerichte und dazu fettloses Gebäck. Die Reformierten aßen Suppe aus Schweine-, Rind- oder Hühnerfleisch und dazu Kuchen, denn für sie galt an diesem Tag keine Fastenpflicht. So kam auch in manchen Gegenden gefüllter Kohl (Kohlrouladen) auf den Tisch. Anders war es am Karfreitag, an dem sämtliche Konfessionen fasteten. Es gab eine saure Suppe, fettloses Kuchenbrot (kalács) und Puffmais, und zwar für den ganzen Tag. Am Ostersonntag sind Suppenhuhn, Kuchen und Strudel die häufigsten Gerichte, allerdings essen die Katholiken lieber Schweinefleisch. Der Schinken wird eingesegnet und während der Feiertage auch verzehrt. Erst in der jüngeren Zeit kam das Osterlamm auf den Feiertagsspeisezettel.

{G-307.} Einzelnen Gerichten wurden besondere kraftspendende Eigenschaften nachgesagt, und darum aß man diese an bestimmten Tagen; so am Neujahrstag Maisbrei, weil der im ganzen Jahr Glück bescheren sollte. Das am Freitag genossene Linsengericht machte die Mädchen schön für den Sonntag. Vor der Aussaat gegessene kleinkörnige Früchte (Hirse, Mohn usw.) sollten eine reiche Ernte bringen. Eier bedeuteten in der Glaubenswelt der Bauern immer Fruchtbarkeit.

Besondere Gerichte knüpften sich an herausragende Familienereignisse. Für die Wöchnerin bringen die Gevatterinnen ein Mittagessen, das im allgemeinen mit dem sonntäglichen übereinstimmt mit dem Zusatz von irgend etwas Besonderem, etwa einer neuen Kuchenart, die zur Zeit gerade in Mode ist. Beim Hochzeitsmahl kommt dem Suppenhuhn die größte Wichtigkeit zu. In der Tiefebene kocht man winzig kleine schneckenförmige sogenannte Fassonnudeln in der Suppe. Zu gekochtem Fleisch ißt man Meerrettich oder rote Beete. Zu den traditionellen Gerichten gehört die Kohlroulade, die besonders in der Mitte des ungarischen Sprachraums nur selten fehlt. Es gibt auch einen Hochzeitsbrei, der in verschiedenen Varianten im ganzen Land bekannt ist und anscheinend das älteste Element in der traditionellen Speisenfolge ist. Zum Leichenschmaus wird nur Branntwein und Brot gereicht, manchmal auch Speck und Kuchen, neuerdings auch Hefegebäck. Wird auch gekochtes Fleisch serviert, so gilt das als Seltenheit.