{620.} 3. Neue Tendenzen zur Jahrhundertwende


Inhaltsverzeichnis

Umgestaltung der Regierungspolitik

Anfang 1895 bildete der siebenbürgische Politiker Baron Dezsõ Bánffy eine Regierung. Bánffy hatte sich in seinen früheren Ämtern (seit 1875 Obergespan in mehreren Komitaten) als Förderer der ungeduldigen Magyarisierung und der mit Polizeimethoden kombinierten patriarchalischen Unterdrückung in den Kreisen der rumänischen und sächsischen Intelligenz verhaßt gemacht. Selbst seine ungarischen Zeitgenossen kannten ihn als „Dobokaer Pascha”. Er war überzeugt, daß ohne Störung des Ausgleichs, in vollem Einvernehmen mit der Dynastie und mit Österreich alle Kraft gegen die Nationalitäten eingesetzt und die Magyarisierung beschleunigt werden müsse. Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, bedeutete dies nichts anderes als für die Wien gemachten Zugeständnisse eine Kompensation der ungarischen nationalistischen Öffentlichkeit mit gesteigertem Chauvinismus.

Die von Bánffy verfolgte Nationalitätenpolitik verwarf die bisherige Magyarisierung auf dem Gesetzgebungsweg und unter Vermeidung von Repressalien. Er institutionalisierte und bürokratisierte die Nationalitätenpolitik. Sein Ziel war die fortlaufende Information der Regierung über kulturelles Leben und politische Bewegungen der Nationalitäten, so daß bei jeder Maßnahme, in allen Bereichen jene nationalistischen Gesichtspunkte konsequent zur Geltung kommen konnten, die von den früheren Regierungen lediglich instinktiv und unsystematisch berücksichtigt worden waren.

Der erste notwendige Schritt in diese Richtung war die Einrichtung einer „Nationalitätensektion” im Amt des Ministerpräsidenten, deren Lenkung Bánffy sich selbst vorbehielt. Seiner listenreichen Politik entsprechend genehmigte er den nach Budapest einberufenen serbisch-slowakisch-rumänischen Nationalitäten-Gesamtkongreß, der sich in seinem Beschluß am 10. August 1895 zur territorialen Integrität bekannte, aber auch die Gravamina der Nationalitäten aufzählte und sich für die politische Anerkennung des Vielvölkercharakters des Landes, für die Einführung der Nationalitätenautonomie in den Komitaten aussprach. Der Kongreß schuf eine Koordinierungskommission zur Lenkung der gemeinsamen Kampfmaßnahmen, wobei allerdings aus dieser Zusammenarbeit – wie die Regierung erwartet hatte – bis auf einige Beratungen, Briefwechsel und einen Protest gegen die Millenniumsfeierlichkeiten nichts herauskam.

Auch die rumänische Nationalitätenbewegung stagnierte wegen der inneren Krise. Die Aufregung, in welche der Memorandum-Prozeß Volksmassen und Behörden versetzt hatte, legte sich sehr schnell. Die noch inhaftierten Verurteilten des Prozesses wurden 1895 begnadigt. Das ungarische nationalistische Lager war ohnehin der Prozesse und damit der „Produktion von Märtyrern” überdrüssig geworden. In Rumänien gelangte die Liberale Partei an die Macht, die die siebenbürgische Bewegung immer stärker beeinflußte; ihr Führer Sturdza gab eine Treue-Erklärung zur Monarchie ab und ließ damit seinen eigenen früheren Standpunkt fallen. Er erklärte, die Monarchie sei, „so, wie sie geschaffen ist, eine erstrangige Notwendigkeit für das europäische Gleichgewicht” und für die Sicherheit des rumänischen Staates, weshalb die Beendigung „aller Mißverständnisse und Streitereien” zwischen {621.} Ungarn und Rumänen wünschenswert sei.* T. MAIORESCU, Istoria contimporană a României (Zeitgenössische Geschichte Rumäniens). Bucureşti 1917, 332–337; B. JANCSÓ, A román irredentista mozgalmak története (Geschichte der rumänischen irredentistischen Bewegungen). Budapest 1920, 229. Er unterband einen Großteil der den rumänischen Kirchen und Schulen in Siebenbürgen im Geheimen zugehenden, doch bereits allgemein bekannten Bukarester Hilfe, womit diese auf eine jährliche Subvention von 150 000 bis 200 0000 Kronen verzichten mußten. Nur die Finanzierung des Kronstädter orthodoxen Gymnasiums und der dazugehörigen Schulen blieb bestehen, da sich Bánffy ausnahmsweise mit deren – freilich über Budapest laufenden – Auslandshilfe abfand, obwohl sie selbstverständlich gesetzwidrig war. Im Besitz der rumänischen Unterstützung konnte das hochangesehene Gymnasium nicht mehr zur Annahme der (ungarischen) Staatshilfe gezwungen werden und entging so auch der Gefahr einer effektiven staatlichen Kontrolle.

Die Regierung unternahm in zwei Richtungen Versuche, die Schulaufsicht zu reorganisieren. Sie versuchte, den Kirchen und Gemeinden, die die vorgeschriebenen Minimalgehälter der Lehrer nur schwer oder überhaupt nicht zahlen konnten, die Staatshilfe aufzuzwingen. Dagegen wehrten sich die Rumänen im Gefühl der Verletzung ihrer kulturellen Autonomie auf unterschiedliche Weise: durch Zurückweisung des erhöhten Gehaltes oder der nominellen Gehaltserhöhung. Bánffy rief daraufhin alle Komitate auf, von allen Gemeinden, die Schulen unterhielten, die für die Gehaltserhöhung notwendigen Summen einzuziehen und die Betroffenen durch die sog. Kultussteuer (z. B. in Arad 70–100 % der Vermögenssteuer) zur Beantragung der Staatshilfe zu zwingen. Dieser Versuch schlug jedoch auch auf den Staat, auf den Apparat zurück, weil die Kirchenbehörden die Kosten des Schulbeitrages nur veranlagten, aber seine Eintreibung, d. h. die politisch gesehen unangenehmere Aufgabe, den Verwaltungsorganen überließen. Die Schaffung einer das Vermögen der beiden rumänischen Kirchen kontrollierenden Organisation wiederum blieb ein undurchführbarer Plan.

Eine typische Magyarisierungsmaßnahme dieser Periode war das Gesetz Nr. IV/1898 „über die Gemeinde- und sonstigen Ortsnamen”, das besagte, daß jede Gemeinde nur einen amtlichen Namen besitzen dürfe. Von den Sachsen und Rumänen wurde dieses Gesetz mit großer Empörung aufgenommen, weil nun auf den Straßenschildern und in amtlichen Schriftstücken die ungarische Namensvariante verwendet werden mußte, obwohl in Lehrbüchern und Schriftsachen der Schulen ergänzend die eigenen Benennungen aufgenommen werden konnten und Presse wie auch Unternehmen die Bezeichnungen ebenso nach eigenem Belieben verwendeten wie die Sprache ihres Geschäftsverkehrs.

Die gewaltsame Nationalitätenpolitik Bánffys war jedoch wenig erfolgreich. Die Sachsen waren durch nichts zu erschüttern, die rumänischen Führer hatten die Auswirkungen der Verfolgung nach ein bis zwei Jahren überwunden. Doch auch der Hauptplan Bánffys, mit dem Programm der Verfolgung der Nationalitäten sowie der Sozialisten die uneinigen ungarischen politischen Kräfte auf Dauer in einem Lager zu vereinen, blieb nur ein Stück Papier. Bánffy wurde seitens der Parlamentsopposition des Verrats der ungarischen nationalen Rechte an Österreich angeklagt und im Februar 1899 gestürzt. Er riß dabei auch das Bukarester Sturdza-Kabinett mit, da an die dortige {622.} Öffentlichkeit gelangte, daß Bánffy und Sturdza bei der Behandlung der Siebenbürger Rumänen einvernehmlich vorgegangen waren, was die Bukarester Öffentlichkeit empörte.

Bánffys Nachfolger, Ministerpräsident Kálmán Széll, brach mit den Methoden seines Vorgängers. Mit der Dreier-Losung „Recht, Gesetz, Wahrheit” versprach er dem Land die Rückkehr zu den sauberen Regierungsmethoden unter Deák und Eötvös. Mit der neu erstarkten Regierungspartei hinter sich konnte er 1901 freie Wahlen ansetzen; von diesem Zeitpunkt an glaubten die Nationalitäten, eine Verbesserung aller Voraussetzungen für ihre Rückkehr ins Parlament bemerken zu können. Ihrer Beruhigung diente – auch aus außenpolitischen Überlegungen – die Auflösung der Nationalitätensektion und die Beseitigung der kleinlichen Polizeimethoden.

Die Behandlung der Nationalitätenfrage wurde vom Jahrhundertende an dem polizeilichen Aufgabenbereich entzogen, sie wurde fachgemäßer, wobei jede Regierung diese Frage zu ihren politischen Alltagssorgen zählte, ohne aber ihre Regelung als eine wirklich dringende Aufgabe zu betrachten.

Zu jener Zeit zeichnete sich eine neue, aus der Sicht der Magyaren Siebenbürgens wichtige Bestrebung ab: die Absicht, die Magyaren indirekt zu stärken. Es wurden Planungen zur Verbesserung des siebenbürgischen Kreditwesens und zur Ausdehnung der Genossenschaftsbewegung aufgenommen sowie Schritte zur Vorbereitung einer sozial-national gefärbten Siedlungspolitik getan. Der wichtigste war der „Szekler Kongreß” 1902 in Tuschnad, der ein staatlich unterstütztes Komplexprogramm zur Entwicklung des Szeklerlandes aufstellte. Später kündigten auch die Rumänen ihren Anspruch auf eine ähnliche staatliche Unterstützung für einzelne ihrer eigenen ärmeren Gegenden an.

Orientierungskrise und neue rumänische Aktivität

In der Memorandum-Bewegung hatte die traditionelle rumänische Politik wahrscheinlich ihren Höhepunkt erreicht. Für die Organisatoren der Aktion und die Schichten der Anhänger brachte sie eine moralische Genugtuung, aber sie bot weder eine Möglichkeit zur Beseitigung der Beschwerden noch eine Orientierung für den zukünftigen Kurs. Es vergingen Jahre, bis die Nationalpartei ihre Ideologie den veränderten politischen Bedingungen sowie den neuen Bedürfnissen des ebenfalls einem Wandel unterliegenden Intelligenz-Bürgertums der Rumänen anzupassen vermochte.

Diese Orientierungskrise setzte bereits ein, als die Parteiführer wegen der im Memorandum-Prozeß gefällten Urteile noch im Gefängnis saßen. Zwischen der Parteiführung und der radikaleren, um die Tribuna gescharten Jugend brachen Fraktionskämpfe aus, die 1896 dann auch einige der nach Bukarest Emigrierten erfaßten und die ideologischen Auseinandersetzungen verschärften.

Die politischen Kreise in Rumänien gaben den ersten Anstoß zur Ausarbeitung eines neuen Programmes. Die Tribunisten erarbeiteten im Einvernehmen mit der dortigen Liberalen Partei ein Programm, das einen Modus vivendi zwischen den Siebenbürger Rumänen und der Regierung als unumgänglich bezeichnete. Die Partei müsse ihre Passivität aufgeben und nach ihrer Rückkehr ins Parlamentsleben mit der Regierung einen Kompromiß {623.} schließen, indem sie im Tausch für ein günstigeres Wahlrecht auf ihre Forderung nach Autonomie Siebenbürgens verzichte. (Dies war ein Programm, das – wenn schon nicht als endgültige Regelung, so doch als Verhandlungsgrundlage – auch jede ungarische Regierung seit langem verlangte.) Die Tribunisten gaben 1897 eine neue Zeitung heraus (Tribuna Poporului), die nun nicht mehr in Siebenbürgen, sondern im engeren Ungarn, in Arad erschien. Hier gab es ein starkes, die Passivität stets ablehnendes rumänisches Parteileben auf Komitatsebene mit einem ansehnlichen großbäuerlichen Hintergrund. Der rumänische Bevölkerungsanteil belief sich in Arad zwar nur auf 15 % und lag damit hinter Kronstadt; doch in Arad verfügten die Rumänen über einen Bischofssitz, ein Priesterseminar und über ihr zweitgrößtes Kreditinstitut, die Viktoria-Bank.

Die neue Aktivität konnte jedoch nicht von dem Führungsgremium der Arader ausgehen, das zu weit vorausgeeilt und den Bukarester Liberalen zu sehr verpflichtet war. Vielmehr machte sich die über den Fraktionen stehende, über eine eigene materielle Basis verfügende neue Schicht, die moderne Bourgeoisie der nationalen Mittelklasse, das Program von Arad zu eigen und paßte es dem traditionellen Parteirahmen an. 1902 verkündete Ioan Mihu, ein Großgrundbesitzer und Bankdirektor, in der neuen Zeitung Libertatea die Revision des Programmes von 1881: die Annahme des Dualismus und die Aufgabe der Forderung nach der Autonomie Siebenbürgens, die Entwicklung einer detaillierteren nationalen Kulturpolitik und einer Sozialpolitik. Ein junger Rechtsanwalt, Iuliu Maniu, erarbeitete das Aktionsprogramm für den Aufbau der Partei in der Provinz, der Komitatspolitik und der modernen Pressepropaganda. Im Sommer 1903 ließ sich Rechtsanwalt Aurel Vlad in Hunyad bei Zwischenwahlen ohne Erwähnung der Autonomieforderung zum Abgeordneten der Nationalpartei wählen.

Die Ernennung von Graf István Tisza, der als Mann des Hofes galt, zum Ministerpräsidenten im Herbst 1903 nahmen die Ungarn mißtrauisch, die Rumänen und Sachsen wiederum mit ernsthaften Erwartungen zur Kenntnis. Tisza hatte der rumänischen Frage seit Beginn seiner Laufbahn große Bedeutung beigemessen und eingesehen, daß die Bande der Rumänen zu ihren im unabhängigen Königreich lebenden Brüdern und Schwestern unzerreißbar waren. Im Interesse einer Stärkung des Vielvölkerstaates Ungarn (und der Monarchie) war er um eine Verständigung mit den Rumänen bemüht, die die zahlenmäßig stärkste Nationalität darstellten. In seiner Antrittsrede bezeichnete es der Ministerpräsident als wichtige nationale Aufgabe, „das Vertrauen, die Sympathie der nichtmagyarischen Bürger des Landes zu gewinnen und zu festigen”, gepaart mit der Bemühung, die gemäßigte oder zur Zusammenarbeit geneigte Schicht von den „gefährlichen Aufwieglern“* Graf István Tiszas Programmrede als Ministerpräsident. Gróf Tisza István képviselõházi beszédei (Graf István Tiszas Parlamentsreden). Eingeleitet und mit Notizen versehen von J. KUN. Budapest 1935, Bd. II, 15–64. zu trennen. Mit den sächsischen Führern konnte er sich schnell einigen, so daß diese wieder der Regierungspartei beitraten; der linke Flügel der rumänischen Aktivisten, die Arader wiederum unternahmen – in den Äußerungen Tiszas ihre eigene Politik bestätigt sehend – einen erneuten Annäherungsversuch. Ihre Zeitung deklarierte in einem hervorgehobenen Text: „Ohne Bedingungen und Hintergedanken erkennen wir die Einheit des ungarischen Staates an, {624.} sind wir bereit, unser Blut und Vermögen für diese politische Einheit, für die Erhaltung der unversehrten territorialen Integrität des ungarischen Staates zu opfern, solange dieser Staat durch starke und unanzweifelbare Institutionen die Entwicklungsmöglichkeiten auf der Grundlage unserer nationalen ethnischen Eigenheiten garantiert. Wir tun das aus der Überzeugung heraus, daß die Existenz eines stabilen Habsburgerstaates in Mitteleuropa eine stärkere Garantie für die Existenz unserer rumänischen Nationalität ist als ein Rumänien ohne den Habsburgerstaat, das alle Rumänen von Dacia Trajana vereinen würde. Das ist unsere Antwort auf die Äußerungen Graf István Tiszas.“* Contele Tisza István (Graf István Tisza). Tribuna Poporului, 10. November 1903. Der größere Teil der rumänischen Parteiführer begegnete Tisza jedoch mit Mißtrauen, da dieser ohnehin die Lösung der bisher beispiellosen Parlamentskrise als dringendste Aufgabe betrachtete und deshalb sehr bald zu Zugeständnissen an die Unabhängigkeitsopposition gezwungen werden würde. Und so hat gerade die Tisza-Regierung, statt Friedensversuche zu unternehmen, Pläne zur Begründung einer staatlichen Lenkung aller Nationalitätenschulen geschmiedet. Gegen den im Oktober 1904 vom Kultusminister Albert Berzeviczy eingereichten Vorschlag protestierten alle Nationalitäten geschlossen, während die auf einer stärkeren staatlichen Einmischung bestehende ungarische Opposition ihn für unzureichend hielt. Im Laufe seiner Parlamentskampagne zog Tisza dann aber aus taktischen Gründen alle eingereichten Gesetzentwürfe wieder zurück.

Die rumänische Bewegung sah die Bedeutung der ersten Regierung István Tiszas in jenen Mäßigung zeigenden Gesten, die schon die einen Ausgleich anstrebende Politik der 1910er Jahre andeuteten. Tisza wies seine Obergespane an, die Rumänen nach Möglichkeit in das gesellschaftliche und politische Leben einzubeziehen, er vermied Presseprozesse fast gänzlich, ließ die rumänische Intelligenz eine Versammlung gegen den Berzeviczy-Plan abhalten, gab ihrem Hermannstädter Kulturverein ASTRA jenen Geldfond (mit den inzwischen angefallenen Zinsen) zurück, der einst für die Avram-Iancu-Statue rechtswidrig geschaffen und von Bánffy beschlagnahmt worden war, und anderes mehr. Erstmals seit langer Zeit wurde angedeutet, daß mit einzelnen angesehenen rumänischen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Verhandlungen eingeleitet werden könnten; doch indessen hatte die parlamentarische Opposition ihre Kräfte vereinigt und erzwang sehr bald den Sturz Tiszas.

Am Vorabend der Wahlen, im Januar 1905, veranstaltete die rumänische Nationalpartei nach elfjähriger Pause erstmals eine Konferenz in Hermannstadt. Das durch die jüngere Generation angenommene neue Programm formulierte als neue Zielsetzung statt der Autonomie Siebenbürgens „die Anerkennung der staatsgründenden politischen Individualität des rumänischen Volkes, die Sicherung seiner ethnischen und verfassungsmäßigen Entwicklung durch staatsrechtliche Institutionen“* Das Wahlprogramm von 1905, mitgeteilt von T. V. PĂCĂŢIAN, Cartea de aur VIII. (Das Goldene Buch). Sibiu 1915, 169–172; G. G. KEMÉNY, a.a.O., Bd. IV, 534–536. und forderte die Durchführung des Nationalitätengesetzes von 1868, die Selbstverwaltung der entsprechend der Sprachgrenzen zu bildenden Verwaltungsgebiete, die Einführung des allgemeinen und geheimen Wahlrechtes sowie einer bescheidenen Sozialpolitik.

{625.} Die neue Etappe des mit konstitutionellen Mitteln geführten politischen Kampfes begann für die rumänische Nationalbewegung mit einem unheilverkündenden Vorzeichen: Anstelle der erhofften 40 errang sie nur 8 Mandate, obwohl der behördliche Druck geringer als üblich gewesen war. Die Bildung einer ins Gewicht fallenden Parlamentsfraktion war damit mißlungen.

Die Wahlen von 1905 zogen jedoch nicht nur den Sturz Tiszas nach sich. Erstmals seit vier Jahrzehnten stimmten die Wähler mehrheitlich für die ungarische Opposition, in der Hoffnung, sie werde die Bande des Landes zu Österreich lockern und die Unabhängigkeit Ungarns anstreben. Mit dem Wahlsieg der sog. Koalition beginnt auch eine neue Orientierungsphase der Nationalitäten.

Koalitionsperiode und letzter Versuch Wiens: die Pläne Franz Ferdinands

Der um die Reichseinheit besorgte Monarch wollte der von Graf Albert Apponyi, Graf Gyula Andrássy d. J. und Ferenc Kossuth geführten siegreichen oppositionellen Koalition nicht die Regierungsgewalt übertragen. Deshalb beauftragte er Baron Géza Fejérváry mit der Bildung eines außerparlamentarischen Kabinetts. Der neue Innenminister József Kristóffy erschreckte mit seinem Plan der Einführung eines neuen, allgemeinen Wahlrechts die um die ungarische Suprematie und die politische Führungsrolle der Besitzerklasse äußerst besorgte Koalition, aus dem Kalkül heraus, diese werde als Gegenleistung ihre für die Einheit der Monarchie bedrohlichen Forderungen nach einem selbständigen ungarischen Zollgebiet, einer eigenen Notenbank, nach der Einführung des Ungarischen als Kommandosprache in den ungarischen Regimentern der gemeinsamen Armee fallen lassen. Der Idee der Wahlrechtsreform begegneten die Sachsen mit Vorbehalten, die Führer der Rumänen begrüßten sie freudig; sie sahen darin die Erfüllung einer alten demokratischen Forderung durch den Hof. Es schien, als stelle sich der Monarch endlich auf die Seite der Nationalitäten. Kristóffy jedoch untersagte (anders als Tisza) den Rumänen sogar die Einberufung einer Nationalkonferenz, damit die ungarische Opposition die ohnehin nicht für national genug gehaltene Regierung nicht der Schwäche bezichtigen konnte. Der Unterrichtsminister wiederum verordnete auf direktem Wege, den Religionsunterricht in den staatlichen Schulen von nun an in ungarischer und nicht in der Sprache der betreffenden Konfession abzuhalten. Während aber die Koalition auch in Siebenbürgen einen lärmenden, doch – mit Ausnahme eines Teiles des Szeklerlandes – völlig erfolglosen, theatralischen „nationalen Widerstand“ einleitete, riefen die rumänischen Führer ihr Volk demonstrativ zur Steuerzahlung, zur Ableistung ihres Militärdienstes, also zum Dienst an der Dynastie auf.

Dem Monarchen gelang es schließlich, die oppositionelle Koalition zum Nachgeben zu bewegen, so daß sie im Frühjahr 1906 unter Führung des treuen 67er Politikers Sándor Wekerle mit einer streng „festgelegten Marschroute“ an die Regierung kommen konnte. Dies löste im Kreise der Rumänen Panik und Schrecken aus, da diese schon seit der Jahrhundertwende die Unabhängigkeitspartei als ihren Hauptfeind, als den „Mandatar des ungarischen Chauvinismus“ betrachteten. Die Führer der neuen Regierung {626.} jedoch luden die beiden Erzbischöfe sowie einige rumänische Politiker zu einer vertraulichen Beratung ein. Wenn es auch – gerade wegen des Widerstandes der Komitate – nicht zu der empfohlenen Wahlkooperation kam, konnten dennoch bei den Wahlen 1906 18 rumänische Abgeordnete „Einlaß finden“. Die Mehrheit von ihnen nahm – gemeinsam mit den Serben und Slowaken – aktiv am Parlamentsleben teil. Sie brachten nicht nur die nationalen Gravamina vor, sondern erhoben gelegentlich ihre Stimme auch im Interesse ihrer Bauern.

Die Nationalitätenpolitik der Koalitionsperiode erinnerte in ihren Methoden an die Bánffy-Epoche: Die Wien gemachten Zugeständnisse werden mit Härte gegenüber den Nationalitäten kompensiert. Inzwischen hatte man es aber mit stärker gewordenen Nationalitätenbewegungen zu tun. Die Koalition wurde ohnehin von der Absicht nach einem spektakulären Aufbau des „ungarischen Nationalstaates“ geleitet. Das Zusammentreffen dieser Faktoren führte dazu, daß die Presseprozesse gegen die Nationalitäten wieder zunahmen und eine neue Welle von Flugschriften die Diskussion initiierte, ob die Rumänen nun unterdrückt seien oder nicht. Eine Frucht dieser Politik war das unter dem Namen „Lex Apponyi“ bekannte Schulgesetz, das den vorhergehenden Berzeviczy-Plan fortführte.

Das Gesetz Nr. XXVII/1907 erhöhte die Gehälter der Lehrer an Gemeinde- und Konfessionsschulen und gewährte den Schulträgern zu diesem Zweck eine Staatshilfe, die aber an eine Reihe strenger Bedingungen geknüpft war. Die Schulen waren verpflichtet, den Schülern eine „einwandfreie patriotische staatsbürgerliche Erziehung“ zu geben, deren Nachweis im verstärkten Unterricht der ungarischen Sprache, Literatur und Verfassung bestand. Damit versuchte die Kulturpolitik die Tatsache zu ändern, daß nahezu 40 % der Bevölkerung des Landes der Staatssprache unkundig waren. Eine schwerwiegende Maßnahme – Quelle zahlreicher künftiger Konflikte – bestand darin, daß bei einem Anteil ungarischer Schüler von über 50 % der Unterricht ungarisch durchgeführt und bei 20 % Ungarisch als Lehrfach eingeführt werden mußte. All dies krönte man mit Magyarisierungsvorschriften für das äußere Erscheinungsbild. Jede Schule mußte das Staatswappen sowie ihren Namen in ungarischer Sprache am Gebäude anbringen, an Feiertagen die Staatsflagge hissen, ungarische Formulare verwenden und in den Unterrichtsräumen Bilder aus der ungarischen Geschichte aufhängen. Sachsen und Rumänen protestierten.

In der Zeit der Vorbereitung dieses Gesetzes, in der von beiden Seiten angeheizten nationalistischen Atmosphäre, fand die Absicht der fortschrittlichsten Gruppe des ungarischen Bürgertums – der um die Jahrhundertwende auftretenden Bürgerlichen Radikalen –, die Nationalitätenparteien als Verbündeten der ungarischen Demokratie zu gewinnen, kein entsprechendes Echo. Ihr Leiter, der Politiker und Sozialwissenschaftler Oszkár Jászi, stellte sich mutig auf die Seite der Nationalitäten, gleichfalls die Sozialdemokratische Partei, die der alleinige Organisator auch des nichtmagyarischen Proletariats war. Die Radikalen bauten gewisse persönliche Kontakte zu einigen Vertretern der rumänischen Nationalpartei aus, wobei allerdings eine bedeutende Annäherung ausblieb. Die sozialistische Bewegung betrachtete man auf rumänischer Seite mit abgestufter Feindseligkeit, von ihren Organisationsmethoden wollte man lernen, hin und wieder tauchte sogar der Gedanke einer Zusammenarbeit auf; aus nationalistischer Sicht jedoch {627.} befürchtete man, sie werde die arme Bauernschaft schließlich dem Einfluß des national gesinnten Klerus entziehen.

In dieser Bedrängnis erreichte die rumänische Intelligenz ein Bündnisangebot aus einer Richtung, aus der sie ein solches stets erhofft hatte: aus Wien. Nicht vom alten Kaiser, sondern vom Thronfolger Franz Ferdinand, um den nach 1906 ein Geheimkabinett („Werkstatt“) entstand, das eine neue Reichspolitik plante und kritisch gegenüber den, samt und sonders als Feinde der Dynastie betrachteten Magyaren eingestellt war.

Die Siebenbürger Sachsen unterhielten keine Verbindung zum Erzherzog. Ab Herbst 1906 schrieb der rumänische Abgeordnete Alexandru Vaida-Voevod unter einem Pseudonym Berichte für die „Werkstatt“. Nach seiner im Februar 1907 im ungarischen Parlament gehaltenen dynastietreuen und „den ungarischen Separatismus“ kritisierenden Rede empfing ihn Franz Ferdinand erstmals, ebenso insgeheim wie den zukünftigen Bischof Miron E. Cristea und den Domherrn Augustin Bunea, die um Darstellung der Ansichten der beiden rumänischen Kirchen gebeten wurden.

Der zu jener Zeit in der Wiener Emigration lebende Aurel C. Popovici arbeitete den Plan einer föderalisierten Habsburgermonarchie aus (Die Vereinigten Staaten von Großösterreich, 1906), in dem er nicht die historischen, sondern die ethnischen Regionen mit einer den Mitgliedsstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika vergleichbaren Autonomie ausstatten wollte. Er hat auch alle Rumänen des historischen ungarischen Staates in einer Gebietseinheit zusammengefaßt (ein eigenes Gebiet für die Szekler war auch vorgesehen) und plante, daß durch den Anschluß des Rumänischen Königreiches die großrumänische Einheit unter der Habsburgerherrschaft verwirklicht werden sollte. Da der Plan auch auf eine Stärkung der Dynastie abzielte, bezog die „Werkstatt“ Popovici in den Kreis ihrer Mitarbeiter ein, obwohl der Thronfolger seine Vorstellung nicht akzeptierte – wie er sich übrigens zu keinem einzigen Programm ausdrücklich bekannte – und später die Anweisung gab, die Schrift von Popovici in konservativem Sinne zu überarbeiten.

Die rumänischen Mitarbeiter der „Werkstatt“ erwarteten vom künftigen Monarchen, er werde die ungarische Hegemonie beseitigen und die Nationalitätenrechte ausdehnen. Sie kannten seine Abneigung gegen den Dualismus, seine Antipathie gegen die ganze ungarische Gesellschaft. („Jeder Ungar, ob Minister, ob Fürst, ob Cardinal, ob Bürger, ob Bauer, ob Häusler, ob Hausknecht, ein Revolutionär und eine Canaille ist“ – schrieb er 1904.* Brief des Thronfolgers vom 30. Juli 1904, mitgeteilt von R. A. KANN, Erzherzog Franz Ferdinand Studien. Wien 1976, 114–115.) Sie waren sich darüber im klaren, daß er im Interesse eines Sturzes der Koalitionsregierung darauf hinauswollte, alle Nationen „auf die Ungarn loszulassen“ und aus diesem Grund auch das allgemeine Wahlrecht einzuführen. Vaida und seine Anhänger boten beim Kampf gegen die Koalition die Hilfe der rumänischen Partei an und erreichten damit die Anerkennung ihrer Nationalbewegung seitens des zukünftigen Monarchen, wodurch diese Beziehung zweifellos ihr politisches Ansehen erhöhte.

{628.} Letzter dualistischer Versuch: István Tiszas rumänische Verhandlungen

Der Sturz der Koalitionsregierung und die Ernennung von Graf Károly Khuen-Héderváry im Januar 1910 zum Ministerpräsidenten bildeten eine Zäsur in der politischen Geschichte des Dualismus. Um die sich seit Jahren hinziehende innenpolitische Krise beenden zu können, wurden alle konservativen Reserven zur Bildung einer neuen 67er Regierungspartei vereinigt.

Auch die Magyaren Siebenbürgens waren der Koalition überdrüssig geworden, und die Nationalitäten sahen in der neuen Regierung die Repräsentanten des Hofes, an die sie um so mehr Hoffnungen knüpften, als der Thronfolger vom neuen Ministerpräsidenten die Verwirklichung seiner eigenen Politik erwartete. Die Regierung unterwarf sich gewissenhaft ihren Wünschen. Binnen kurzem wurde die Durchführung einer Reihe rechtskräftiger politischer Strafen aufgehoben und zahlreiche der anstehenden Presseprozesse niedergeschlagen. Stillschweigend genehmigte man den Gebrauch der rumänischen Trikolore, und das oberste Gericht erklärte, das Singen des als Nationalhymne geltenden Liedes „Erwache, Rumäne“ in der Öffentlichkeit sei nicht verboten. Auch die Schulpolitik Apponyis wurde einer Revision unterzogen.

Die Arader Tribuna-Gruppe reagierte wohlwollend auf die ersten Maßnahmen der neuen Regierung; sie erkannte, daß Khuen im Kampf gegen die ungarische Unabhängigkeitsopposition die Nationalitäten benötigte. Ermutigt auch von der Bukarester Liberalen Partei, drängte sie auf eine „ehrliche Übereinkunft“ und begann mit ihrer Organisationstätigkeit. Auch die Leitung des Nationalkomitees reagierte auf die Veränderungen voller Erwartungen. Khuen versicherte ihr, es sei nicht die Absicht der Regierung, die Nationalitäten bei den Wahlen zu zerschlagen. Angeblich soll sie der Regierung in 60 Kreisen Unterstützung zugesagt haben, woraufhin diese als Gegenleistung eine bedeutende Wahlhilfe anbot, in einzelnen Kreisen 60 000–100 000 Kronen. Auch Ioan I. C. Brătianu, der Führer der Bukarester Liberalen, ließ der rumänischen Partei einen erheblichen Betrag zukommen, und diese konnte ebenso mit dem Wohlwollen von Khuen wie auch mit der Unterstützung seitens Franz Ferdinands und der Partei der Wiener Christlich-sozialen Luegers rechnen. In 37 Kreisen wurden 33 Kandidaten aufgestellt, doch fehlte es an Geschlossenheit. Der besonnene Maniu warnte vergebens: „Bitte glaubt diesen lügnerischen Gerüchten nicht“ – erklärte er seinen Wählern in Winzendorf –, „daß vor allem wir einstigen rumänischen Abgeordneten mit der neuen Regierung irgendeine Vereinbarung getroffen hätten […]“* Tribuna, 4. Juni 1910.

Die Wahl von 1910 verlief vor allem in ungarischen Gegenden besonders gewalttätig. Die von István Tisza geschaffene regierende Nationale Arbeitspartei suchte einen Sieg zu erringen, bei dem mehrere parlamentarische Gegner gänzlich vernichtet werden sollten, darunter auch die Nationalitäten, um dadurch die Bildung eines Franz Ferdinand dienstbaren starken Abgeordnetenblockes zu verhindern. Dieses Ziel erreichte sie – auch wegen des Wandels der öffentlichen Meinung, die sich vom vollmundigen Nationalismus {629.} der Koalition getäuscht fühlte. Nach der Wahl erklärte Tisza im Kreis von Vertrauten: Nun kann der Thronfolger kommen!

Von den rumänischen Kandidaten erhielten nur 5 ein Mandat, zudem 3 in Kreisen ohne Gegenkandidaten. Mit dem Programm der Regierungspartei dagegen gelangten 9 Rumänen ins Abgeordnetenhaus. Die Überraschung war so groß, daß man anfangs nicht einmal den Versuch unternahm, die Verantwortung dafür dem Wahlterror zuzuschreiben. „Die Gewalttätigkeit bei den Wahlen hat höchstens zwei Plätze gekostet“ – schrieb eines ihrer solidesten Blätter – „mehrerenorts sind unsere Abgeordneten durch Tausende von rumänischen Stimmen gestürzt worden“.* Libertatea, 4. Juni 1910. Die einen Kompromiß proklamierende Zeitung des Hermannstädter Erzbistums sprach von einem direkten Auftreten des Volkes gegen ein unrealisierbares Programm.

Graf István Tisza, der „providentielle Mann“ der ungarischen Politik, bekannte sich noch vor den Wahlen zur rumänisch-ungarischen Übereinkunft. Seine Rede wurde von den rumänischen Blättern mit Sympathie aufgenommen, die Unirea von Blasendorf verglich ihn direkt mit Deák und nannte ihn einen Beschützer der Nationalitäten. Im Juli wiederholte er im Parlament seinen Standpunkt, den das rumänische Nationalkomitee als Ausgangsbasis akzeptierte und zustimmte, daß der Bankier Mihu, der bereits bei der Ankündigung der Aktivität beteiligt gewesen war, Verhandlungen mit Tisza aufnehmen solle. Im ersten Gespräch fand sich Tisza, abweichend von seinem früheren Standpunkt, damit ab, daß die rumänische Partei ihre Sonderstellung beibehalten wollte, und akzeptierte, daß an den weiteren Verhandlungen auch ihre führenden Vertreter teilnehmen und eine eventuelle Vereinbarung von einer rumänischen Nationalkonferenz ratifiziert werden sollte. Die Parteiführung verfaßte ihre Forderungen und beschloß, wenn die Regierung ihre Wünsche erfülle, werde sie sich im Parlament „zurückhaltender“ verhalten und ein neues Parteiprogramm ausarbeiten.

Im Herbst 1910 übersandte die Rumänische Nationalpartei Tisza eine Denkschrift mit ihren politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Forderungen. Ihre 23 Punkte bezogen sich auf Erweiterung des Wahlrechts, Absicherung von 50 Wahlkreisen, systematischen Gebrauch der rumänischen Sprache in den Behörden, Festlegung eines verbindlichen Minimums rumänischer Beamter, Einrichtung von drei neuen rumänischen Bistümern, Revision des Apponyi-Gesetzes, Erhöhung der für die Ziele der rumänischen Kultur verwendeten Staatshilfe, Gründung von drei staatlichen rumänischen Gymnasien, Ausdehnung der „Szekler Aktion“ auf rumänische Gebiete, um dadurch auch die eigene wirtschaftliche Entwicklung zu fördern. Als Gegenleistung versprach man die Annahme der 67er Grundlage, aber keine die Regierung unterstützende Politik. Dies hielt Tisza (wie Khuen) zum Teil für unannehmbar, akzeptierte es aber als Verhandlungsgrundlage. Die rumänische Partei entsandte eine Kommission zur Führung der Verhandlungen, deren Mitglieder sich allerdings untereinander nicht einigen konnten. Maniu und Vlad waren nicht einmal geneigt, den bestehenden Rechtszustand anzuerkennen; der durch den Partikularismus und die ständig wachsenden Forderungen verbitterte Mihu trat zurück. Da die verschiedenen Fraktionen mit ihrer Gegenpropaganda die zur Übereinkunft bereiten Kräfte lähmten, tauchte in der Regierung der berechtigte Verdacht auf, die Führer seien nicht {630.} mehr Herren ihres eigenen Lagers; die Beseitigung der Fraktionen wurde so zu einer Existenzfrage.

Das Gütesiegel der stärksten Fraktion, der Tribunisten-Gruppe von Arad, war der Name des damals bereits bekannten Dichters Octavian Goga, der durch die 1902 in Budapest ins Leben gerufenen literarisch-politischen Zeitschriften Luceafărul und später Ţara Noastră diesseits und jenseits der Karpaten populär wurde. Mit einer Serie scharfer Artikel griff er das Nationalkomitee an, das er für die Wahlniederlage verantwortlich machte, und verlangte dessen Verjüngung. Seine Anhänger, die ihm folgenden „stählernen Jugendlichen“, wünschten sich eine Massenorganisation zur Überwindung jedes fremden – als ungarisch oder jüdisch-ungarisch geltenden – Einflusses. Sie begannen ein aus Messianismus, religiöser Mystik und konservativem Antikapitalismus bestehendes, doch demokratisch gefärbtes politisches Ideensystem zu entwickeln, in dem sich auch der Einfluß der zeitgenössischen Soziologie und des ungarischen bürgerlichen Radikalismus bemerkbar machte.

Die Parteiführung verhandelte zunächst, dann verurteilte sie die Fraktionsbildung in einem Beschluß und gründete schließlich ebenfalls in Arad ein offizielles Parteiorgan, das zu Beginn des Jahres 1911 erscheinende und von Vasile Goldiş, einem abtrünnig gewordenen Tribunisten redigierte Românul. Diese neue Zeitung hatte ein einziges Ziel: die Zerschlagung der Tribuna. Der in Form grober persönlicher Beleidigungen geführte Pressekrieg artete zur wahren Ketzerverfolgung aus, was die ungarischen Blätter mit nicht geringer Schadenfreude kommentierten. Die Lösung der Krise übernahm schließlich Bukarest. Im März 1912 traf Constantin Stere, ein Vertrauensmann der Bukarester Liberalen, in Arad ein, der die Tribuna mit starker Hand liquidierte. Das Blatt samt seinen Vermögen ging in den Besitz des Komitees über und wurde mit dem Românul verschmolzen. Das war das Ende der ein Vierteljahrhundert bestehenden Tribuna-Bewegung. Der demokratischere Flügel hatte eine Niederlage erlitten, aber das Komitee an Spielraum und Kompromißfähigkeit gewonnen.

Diese internen Auseinandersetzungen belebten erst recht das rumänische öffentliche Leben Siebenbürgens. Seit 1910 folgten zahlreiche politische Volksversammlungen aufeinander, blühte das Vereinsleben auf, für das ein bisher unbekannter bessarabischer Grundbesitzer (V. Stroescu) von 1909 an binnen drei Jahren mindestens eine halbe Million Kronen stiftete. Die Feierlichkeiten anläßlich des 50jährigen Bestehens der ASTRA im Jahre 1911 entwickelten sich zu einer großangelegten gesamtrumänischen Demonstration, symbolisch überhöht durch den Versuch des talentierten siebenbürgischen Fliegers Aurel Vlaicu, die Karpaten zu überfliegen.

Die zweite Verhandlungsserie zwischen der Regierungspartei und den Siebenbürger Rumänen kam teilweise auf Vermittlung Bukarests zustande. Im Januar 1913 überreichten Mihali, Maniu und Branişte ihre in elf Punkten zusammengefaßten Forderungen, die sie nun jedoch auf Anraten Franz Ferdinands so formulierten, daß eine Übereinkunft jederzeit „als von ungarischer Seite nicht eingehalten und deshalb für null und nichtig erklärt werden kann“.* Vaida-Voevods Brief vom 23. Januar 1913. Kriegsarchiv, Wien, Militärkanzlei Franz Ferdinand. Rumänische Akten, 303/9. Die Punkte enthielten die Forderungen, in den staatlichen {631.} und Gemeindeschulen in allen Stufen die rumänische Sprache zu unterrichten, das Rumänische als Verwaltungs- und Gerichtssprache sowie die uneingeschränkte Versammlungs- und Pressefreiheit einzuführen, und schließlich die Zusicherung über einen proportionellen Anteil von Abgeordnetenmandaten. Die Antwort Tiszas war – sicher wegen der spürbaren Radikalisierung der Forderungen – recht zurückhaltend, beschränkte sich auf Beseitigung der einfacheren, durchaus klärbaren kirchlichen und verwaltungsmäßigen Beschwerden und auf die wirtschaftspolitischen Versprechungen. Im Einvernehmen mit dem Thronfolger unterbrachen die Rumänen die Verhandlung.

Die dritte Verhandlungsserie begann zur Zeit starker internationaler Spannungen, im Herbst 1913, nach dem Bukarester Frieden, der die Balkankriege abschloß. Der inzwischen zum Ministerpräsidenten aufgestiegene Tisza verhandelte erneut mit den drei Delegierten, die aber – unter dem Eindruck der wachsenden Unterstützung seitens des siegreichen Rumänien und des Thronfolgers – immer höhere Forderungen stellten. Doch auch Tisza machte größere Zugeständnisse. In der öffentlichen Verwaltung und der erstinstanzlichen Rechtsprechung versprach er die volle Garantie des schriftlichen und mündlichen Gebrauchs der Muttersprache, die Prüfungspflicht der Beamten in der Sprache des von ihnen verwalteten Gebietes und eine Ausdehnung des rumänischen Sprachunterrichts. Ferner sagte er ihnen ein staatliches rumänisches Gymnasium zu sowie die Erhöhung der bisherigen Staatshilfe auf 7 Millionen für rumänische Zwecke und bot schließlich die Zusicherung von rund 30 Wahlkreisen für rumänische Abgeordnete. Darüber hinaus sei er geneigt, das Apponyi-Gesetzz zu „modifizieren“. Aber auch Tisza stellte schwerwiegende Bedingungen. Die rumänische Partei müsse ihre Beschwerdepolitik aufgeben und ohne Vorbehalte die gegebene Staatsordnung akzeptieren, die Übereinkunft als dauerhafte Lösung betrachten und ihre Politik auf die Realisierung der Übereinkunft konzentrieren. Tisza betrachtete den Pakt als eine im großen und ganzen endgültige Regelung der rumänischen Frage.

Die rumänische Partei stand vor einem schweren Dilemma. Tiszas ernsthafte Absicht war nicht zu bezweifeln. Auch Bukarest drängte auf eine Übereinkunft und das offizielle Wien auf irgendeine Vereinbarung, während die aktuellen Bedürfnisse des rumänischen Bürgertums gleichfalls ein gutes Verhältnis mit der Regierung für wünschenswert hielten. Man hätte den Vorschlag von Tisza durchaus akzeptiert, wäre da nicht die Forderung gewesen, die Ablehnung des Dualismus aufzugeben, wie sie sagten: ihre Verzichtserklärung. Die engere Führungsschicht der Partei wünschte eine solche Übereinkunft, wagte aber nicht, deren Folgen zu tragen, sie wollte zugleich auch ihre Oppositionsrolle beibehalten. Franz Ferdinand nährte ihre Unsicherheit nur noch, indem er den Rumänen für die Zeit nach dem immer aktueller werdenden Thronwechsel eine entscheidende Rolle in Aussicht stellte. Teilweise ist dies auch eine Erklärung für die Ausweitung ihrer Wünsche, die 1913 im Anspruch auf einen rumänischen Minister (ohne Portefeuille) und zwei Staatssekretäre gipfelten. Daraufhin machte der ungarische Ministerpräsident erneut ein Zugeständnis. Dem Thronfolger in die Karten schauend, ließ er taktisch seine letzte Forderung fallen: Er verlangte nicht mehr, daß die Rumänen die Regelung als endgültig betrachten müßten, und bestand nicht mehr auf ihrer Verzichtserklärung. Damit hatte er {632.} von vornherein das Odium des Mißerfolges von sich abgewendet. Es blieb dem Belvedere nichts anderes übrig, als seine wahren Karten aufzudecken. Im Dezember 1913 hieß es noch, „eine Übereinkunft muß unbedingt zustande kommen“.* Bericht Carl von Bardolffs für den Thronfolger vom 30. Dezember 1913. Kriegsarchiv, Wien, Militärkanzlei Franz Ferdinand. Rumänische Akten, ohne Zahl. Im Januar erklärte der Thronfolger bereits, er habe schweren Herzens, nur unter Einfluß der internationalen Lage, den Verhandlungen zugestimmt: „Ich bin grundsätzlich deswegen gegen den Ausgleich, weil er mit der Gefahr einhergeht, daß unsere Rumänen dadurch in das antidynastische ungarische Lager getrieben werden, was für die Zukunft aus meiner Sicht eine sehr große Gefahr wäre.“* Briefkonzept Franz Ferdinands an Czernin, Januar 1914. Kriegsarchiv, Wien, Militärkanzlei Franz Ferdinand. Rumänische Akten, ohne Zahl. Es wurde sogar die Anweisung gegeben, es müsse nicht unbedingt eine Übereinkunft zustandekommen, was dem zögernden rumänischen Nationalkomitee sehr zustatten kam. Am 17. Februar 1914 faßte es die Entschließung: Tiszas Angebot sei „ungeeignet dafür, den Gegensatz zwischen der Regierungspolitik des ungarischen Staates und den Rumänen auch nur auf kurze Zeit abzuwenden“.* Zitiert in Magyarország története (Geschichte Ungarns). Bd. 7. Hrsg. von P. HANÁK und F. MUCSI, Budapest 1978, 53.

Hatten bis 1913 die Politiker Rumäniens angeregt, daß man sich mit der ungarischen Regierung einigen solle, tat dies nun lediglich noch der alte König Karl. Auch Tisza war sich über den bevorstehenden Mißerfolg im klaren. Er schrieb an Mihali: „Es ist schmerzlich und es besteht nur wenig Hoffnung, daß wir unser Ziel jetzt erreichen, doch sehe ich mit Freude, daß auch Ihr einen wesentlichen Fortschritt und eine Annäherung seht“.* Tiszas Brief an Mihali vom 12. Februar 1914. Zitiert von F. PÖLÖSKEI, Tisza István nemzetiségi politikája az elsõ világháború elõestéjén (István Tiszas Nationalitätenpolitik am Vorabend des ersten Weltkrieges). Sz. 1970/1.

Anfang 1914 scheiterte der letzte Versuch, aufgrund der im dualistischen System entstandenen Kräfteverhältnisse so wie die Sachsen auch die Rumänen – und deren bereits auf nationaler Grundlage separierte Kräfte – in das ungarische politische Leben zu integrieren.

Die ungarisch–rumänischen offiziellen Verhandlungen wurden über die Köpfe der ungarischen Politiker Siebenbürgens hinweg geführt, ebenso wie die Frage Siebenbürgens seit langem über den um die Macht geführten Zweikampf der dortigen Magyaren und Rumänen hinausgewachsen war. Ihr Verhalten, ihre Ansichten waren anscheinend in erster Linie von Besorgnis bestimmt, und diese nahm 1913 wesentlich zu, als Rumänien mit dem Bukarester Frieden nach dem zweiten Balkankrieg zu einer südosteuropäischen Filialgroßmacht wurde. Man war sich darüber im klaren, daß die Lage der Rumänen neu geregelt werden müsse, hatte aber keine moderne Konzeption dafür; die meisten hielten sogar Tiszas Zugeständnisse für übertrieben, wie dies die Reden der Oppositionellen István Bethlen und Zoltán Désy anläßlich der – ungewohnt anspruchsvollen – Parlamentsdebatte an der Jahreswende 1913/14 zeigen; während ersterer eher die strikte Zurückweisung für die Lösung der Frage hielt, sah letzterer diese nur in einer allgemeinen Demokratisierung gegeben.

Das ungarische Lager des Fortschrittsoptimismus, die Sozialdemokratische Partei und vor allem die Bürgerlichen Radikalen, waren sich der Dringlichkeit {633.} einer Regelung der Nationalitätenfrage immer stärker bewußt, standen aber den Verhandlungen eigentlich etwas ratlos gegenüber. Die Sozialisten beurteilten die Verhandlungen im Rahmen der damaligen Auffassung vom Zweikampf zwischen Fortschritt und Reaktion und meinten in ihnen das Bild eines sich von Tisza bis zu den Nationalitätenparteien hinziehenden konservativen Blocks zu sehen. Ähnlich urteilten auch die Bürgerlichen Radikalen. Allein Jászi unternahm den Versuch, die Frage als Problem einer nicht geradlinigen Entwicklung aufzuarbeiten.

1914 vertrauten noch viele darauf, es werde sehr schnell zu einer Vereinbarung kommen – mit Tisza, oder eher sogar noch ohne den von allen Seiten angegriffenen Ministerpräsidenten. Der Ausbruch des Weltkrieges jedoch schuf eine völlig neue historische Situation.